Kurz vor Nicolas Geburtstag fühlte Bess sich noch zu schwach um eine Party für ihn zu geben. Sie hatte in letzter Zeit einige Rückschläge erlitten, geheult und den Tag im Bett verbracht. Doch das hatte sie erfolgreich vor ihrer Familie geheim gehalten. Sie hatte sich auch, wie im Buch beschrieben, eine halbwegs sinnvolle Beschäftigung gesucht. Sie kochte jetzt oft bis tief in die Nacht, wenn sie sich um niemanden kümmern musste, verschiedene Gerichte und lernte neue Rezepte. Sie hatte auch ihre alte Freundin Hanna Jones mit Nicolas besucht. Hanna hatte fast zeitgleich mit ihr den kleinen Elijah bekommen. Mit Hanna sie auch über alles geredet und sich danach viel besser gefühlt. Allerdings war das auch nur von kurzer Dauer gewesen, denn Hanny und sie hatten wegen ihrer Kinder selten Zeit sich zu verabreden. Michael war wirklich gut in der Schule. Er war ein richtiges Traumkind -auch immer schon gewesen. Ganz anders als Nicolas. Er schrie als Baby unglaublich viel und verweigerte oft das Essen. Doch Bess bemühte sich nach Kräften ihn ebenso zu lieben wie sie Michael liebte.
Nicolas Geburtstagsparty fand also im privaten Kreise statt, nur Bess, Ralph und Michael waren da. Doch es wurde unerwartet schön. Bess wurde ein so seltenes Lächeln von Nicolas zu Teil als sie Vormittags den Kuchen vorbereitete. Nachmittags wurde dann gefeiert. Nach Nicolas Geburtstag wuchsen ihm endlich Haare. Sie waren pechschwarz wie Bess Haare. Das machte Bess glücklich. Vielleicht war ihr dieses Kind doch nicht ganz so fremd wie sie gedacht hatte. Seine Augenfarbe war ein hübscher Mix aus Bess hellblauen und Ralphs braunen Augen.
Nach Nickys Geburtstag kehrte eine friedliche Ruhe ein. Bess erlitt keine Rückschläge mehr und das Familienleben war wieder idyllisch wie eh und je. Als sie am Abendbrot saßen und darüber diskutierten wer Nicky was bebringen sollte war es fast wie früher. Fast, denn Bess war sich nicht sicher wie lange das noch so bleiben würde.
Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.
Jetzt! Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat aber ich hatte einfach keine Zeit.
Bess fand, dass es jetzt wo alles so gut lief auch Zeit für ein weiteres Kind wurde. Tatsächlich wollte Ralph auch und es war gar nicht so schlecht wie Bess gedacht hatte. Am nächsten Morgen wollte sich keine Übelkeit einstellen. Bess wartete bis Ralph und Michael aus dem Haus waren und fuhr dann mit Nick einen Schwangerschaftstest kaufen. Der Test brachte Klarheit: Nicht Schwanger! Am Abend versuchten sie es erneut. Auch am nächsten Tag stellte sich die Übelkeit nicht ein und Bess fühlte sich unendlich leer. Sie beschloss es nochmal zu probieren. Keine Überraschung: Es klappte nicht. Das konnte Bess ob sie wollte oder nicht, nicht einfach wegstecken. Verzweifelt sank sie neben der Kloschüssel zu Boden. Nicolas schrie in seinem Zimmer und Bess kam ein schreklicher Gedanke: Sollte sie keine Kinder mehr bekommen? Waren ihr etwa nur zwei Kinder gegönnt? Wenn Nick ein Mädchen gewesen wäre... Bess hasste sich für diese Gedanken aber sie konnte sie nicht einfach verscheuchen. Bess bestellte einen Babysitter und vergrub sich im Bett. Sie wollte niemanden mehr sehen und sie wollte es auch nicht noch mal versuchen! Sie schlief den ganzen Tag lang und als Ralph nach Hause kam bat sie ihn, den Kindern zu sagen, sie sei krank. So verbrachte sie auch den nächsten Tag und den übernächsten und den überübernächsten... Bess achtete nicht auf ihr Äußeres verließ ihr Zimmer nur um sich Essen zu holen, dass sie dann im Bett verspeißte, trug Tag und Nacht den gleichen schreklichen Schlafanzug und verlor jedes Zeit-Gefühl. Die ganze Zeit konnte Bess nur daran denken, dass sie niemals ein kleines Mädchen bekommen würde. Nie würde sie einem kleinen Mädchen Schleifchen in die Haare binden oder sich mit ihm über Jungs unterhalten. Nie. In gewisser Weise machte Bess Nicolas dafür verantwortlich. Sie war hin und hergerissen zwischen Selbsthass, zerstörerischer Wut und tiefer Trauer.
Nach etwa zwei Wochen die Bess ungestört in ihrem Zimmer verbracht hatte beschloss Ralph mal zu ihr zu gehen. Er hatte sie selten gesehen, wenn überhaupt und rücksichtsvoll auf dem Sofa geschlafen. Ralph öffnete leise die Tür. Im Zimmer war es schreklich stickich und unordentlich. Ralph war geschockt. So hatte er Bess noch nie erlebt! Sie war wach und schluchzte lauthals in ein Kissen. Ralph legte sich vorsichtig zu ihr und nahm sie in die Arme. Erstaunlicherweise wies sie ihn nicht ab sondern kuschelte sich heulend an ihn. "Was ist eigentlich los, Schatz?" fragte Ralph vorsichtig. "Ich will ein Mädchen!" schluchzte Bess. Ralph zog sie hoch. "So kann das nicht weitergehen, Bess. Du musst dich wieder um die Kinder kümmern alleine schaffe ich das nicht. Also erzähl mir genau was los ist und ich bin sicher ich kann dir helfen!" sagte Ralph bestimmt. Bess erzählte ihm alles. Vom Ausbleiben der Übelkeit bishin zu ihren Gefühlen. Hinterher fühlte Bess sich besser und tatsächlich wusste Ralph Rat. "Ich kenne einen Dorktor, der dir helfen kann. Mami hat ihn mir emfohlen. Sie meint sie hat ihn selbst aufgesucht bevor sie mich bekommen hat. Bitte such diesen Doktor auf, ich will meine alte Bess zurück!"
Bess fuhr mit einem Kloß im Hals zu dem Doktor, den Ralphs Mutter ihr emfohlen hatte. Sie hatte sich die Haare wieder gewaschen und sorgfältig hochgesteckt und ihren alten Schlafanzug hätte sie auch weggeschmissen wenn sie ihn nicht so gemütlich gefunden hätte. Der Doktor hieß Doktor Bernhad Gabriel. In seiner Praxis wurde Bess erstmal in sein Wartezimmer gebeten, wo schon eine andere Frau saß und las. Bess musste nicht lange warten bis sie aufgerufen wurde. Dr. Gabriel war ein älterer weißhaariger Mann der Bess freundlich aufforderte ihm ihr Geschichte zu erzählen. Bess tat also wie geheißen und erzählte alles was sie Ralph vorher schon erzählt hatte. Dr. Gabriel hörte verständnisvoll zu. Als sie geendet hatte ergriff er das Wort. "Frauen die genau das selbe Problem haben wie sie kommen oft zu mir, Mrs. Ravenhart. Ich kann ihnen kein Wunder versprechen aber ein paar hilfreiche Ratschläge habe ich schon: Unternehmen sie mal was mit ihrer Familie -insbesondere mit Nicolas- am besten besuchen sie ein Museum oder gehen essen oder in den Park. Leses sie am besten ein paar Bücher zu dem Thema die helfen tatsächlich! Ich könnte ihnen ein paar emfehlen, z.B. Mein Baby oder Liebe -ein rätselhaftes Gefühl. Bess und Dr Gabriel sprachen noch eine Weile mit einander und Bess wurde immer zuversichtlicher. Sie würde das schaffen! Und wenn das mit dem Baby nicht klappte hatte sie immer noch zwei wundervolle Söhne! Schließlich war Dr Gabriels Zeit zu Ende. Bess war unendlich dankbar, dass er ihr geholfen hatte. "Wie kann ich ihnen nur jemals danken, Dr Gabriel?" "Ach Bess für mich wäre es schon Lohn genug wenn sie wieder glücklich werden!" Als Bess die Praxis verlies hatte sie bereits einen Plan was sie mit ihren Lieben unternehmen wollte. Sie würde ihnen das Rieverview Art Museum zeigen, so würde sie auch noch etwas zu der Bildung ihrer Kinder beitragen. Na Michael würde sich bestimmt freuen ins Museum zu kommen. Und danach essen im kleinen Korsen. Endlich herrschte nicht mehr nur die gähnende Leere in Bess Kopf wie in den letzten Wochen sondern er war gefüllt mit Ideen und Plänen für die nächste Zeit. Dieser Dorktor hatte doch wahre Wunder bewirkt!
Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden.